Der Tod als Ausgangspunkt für Alexander Dugins Vierte Politische Theorie

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(Schriftliches Vorwort / Kommentar zur Video-Reihe “Dugin Heimat” 9. Teil “Landschaft des Sterbens, Ort des Todes”)



Ein Versuch die Hand auszustrecken
und das Berühren von Eisen
Eine Tüte voll Angst
für das Dasein als Körper
gründlich einverleibt
der Leichengemeinschaft

Erst ein Ausflug ins Jenseits
dann eine Rückkehr ins Nichts. 

(Günter Kunert, Abtötungsverfahren, 1980)


In meinem Vorwort „Das Radikale Subjekt als Katechon“ zu Alexander Dugins Buch „Eurasische Mission“ (Arktos London 2022), das die Idee zu dieser Video-Reihe „Dugin Heimat“ gebar, betone ich, welche zentrale Bedeutung das Dasein für Alexander Dugin hat: „Das Subjekt bzw. das Heideggersche Dasein ist“, so Dugin, „zentraler Inhalt und Begriff der Vierten Politischer Theorie.“ 

Aber das Dasein steht für Dugin in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Tod: „Die Liberalen entdecken die Keimzelle des Liberalismus und das Zentrum der Individualität – es ist der Tod. Aber der Tod, der Abstieg, der Niedergang sollte als Ausgangspunkt für die Vierte Politische Theorie genommen werden. Der Tod des Subjekts aller klassischen politischen Theorien der Moderne ist die Geburt des wahren Daseins.“

Um das Dasein zu stärken und „den Inhalt unseres Wesens zu erwecken“, setzt sich Dugin „mit dem Tod und der absoluten Einsamkeit auseinander“. Die liberalistische Individualität müsse „durch eine existenzielle Begegnung mit dem Tod überwunden werden“, die „direkte Konfrontation mit dem Tod und die Entdeckung des Nichts“ müsse „ins Zentrum des Individuums“ gerückt werden. „Hier wird die nihilistische Essenz des Liberalismus deutlich, und ausgehend von diesem schwarzen Fleck können wir die Vorschläge der Vierten Politischen Theorie zu seiner Überwindung weiterdenken.“

Mein Vorwort zu Dugins „Eurasischer Mission“ und die Video-Reihe „Dugin Heimat“ dienen nun diesem Weiterdenken, wobei ich sogleich den Vorschlag unterbreite, das Überwinden durch ein Unterwinden bzw. die „Selbsttranszendenz“ (Dugin) durch „radikale Immanenz“ (ebenfalls Dugin) zu ersetzen. Dugin spricht zwar selbst von der „radikalen Immanenz“, verfolgt diese dann aber nicht weiter, so daß ich statt seiner diese Aufgabe übernehme. 

Der moderne Mensch ist nicht richtig da (hat kein Dasein). Ich behaupte aber nun, daß Dugin den Tod zu unrecht ontologisiert. Das Dasein ist zu allererst das Leben. Im Kontrast zum Tod erfährt das Leben seine Kontur – das ist sehr richtig. Aber der Tod ist vor allem das Nicht-Dasein. 

Der moderne Mensch ist tatsächlich vernichtet. Aber wenn Dugin von der „nihilistischen Natur des Individuums“ spricht, liegt meines Erachtens wieder eine unzulässige Ontologisierung vor. Ich führe den Daseins-Mangel des modernen Menschen und seine „Seinsvergessenheit“ (Heidegger) auf einen großen Anteil von Nicht-Dasein in seiner Person und auf eine Abtötung und Daseins-Zerstörung im Verlaufe seiner Kindheit zurück. Damit stehe ich in einer gewissen Tradition, von der ich in meinem Vorwort zur „Eurasischen Mission“ schreibe: „Hier müssen die Verdienste der Post-Freudianer genannt werden, die von konservativer Seite in nur all zu leichter und oberflächlicher Weise als ‚Kultur-Marxisten‘ abqualifiziert werden, deren konservative Leistung im Hinblick auf die Radikalisierung des Selbstes, d.h. die Zurückführung auf dessen ‚traditionelle‘ Wurzeln, aber zu würdigen ist: im Linksradikalismus liegt der Keim zum Urkonservatismus.“ 

Und im weiteren zitiere ich Dugin: „Die Assimilation der Gesellschaftskritik der ‚Neuen Linken‘ in eine ‚konservative rechte Interpretation‘, die sich auf das Erbe von Michel Foucault, Gilles Deleuze, Antonin Artaud und Guy Debord bezieht, tragen zur Entwicklung der Ideen der klassischen Eurasianisten bei.“ Seltsam ist, daß Dugin das Original dieser Denker – Wilhelm Reich und andere Links- oder Post-Freudianer – nicht rezipiert. 

Vor allem aber und viel mehr stehe ich in der Tradition der Phänomenologie, nur radikalisiere ich diese und wende sie in ihrem emotionalen Kerngehalt an. Ich de-intellektualisiere die Phänomenologie oder besser gesagt: Ich denke, um das Dasein zu verstärken und zu erweitern, ist eine Ergänzung des Intellektuellen durch das Emotionale dringend geboten. 

Die Phänomenologen operierten bisher ausschließlich im Bereich des Kognitiven. Heidegger hat das Dilemma erkannt und seinen Lehrer Husserl zurecht verlassen. Aber ihm fehlte bei weitem die Konsequenz. Es gibt kein Dasein ohne Gefühle, und Sprache kann Gefühle nicht ersetzen.  

Und als emotionaler Phänomenologe kommt man nicht umhin, die Abgestorbenheit und das Abgetötetsein zur Kenntnis zu nehmen und diese als den Grund seines Leides zu identifizieren: die Große Verarschung, die darin liegt, um Leben und Dasein betrogen worden zu sein. 

Im Unterschied zu Dugin ist also für mich der Tod an und bei noch lebendigem Leibe sowohl das Problem als auch der Ausgangspunkt für dessen Lösung. Ich behaupte, daß die Ontologisierung des Todes seine Ursache in der unvollständigen Phänomenologie hat. 

Mündliche Vorrede zum 9. und letzten Teil „Landschaft des Sterbens, Ort des Todes“
Video-Fassung “Dugin Heimat” 9. Teil “Landschaft des Sterbens, Ort des Todes”
Text-Fassung

Das Radikale Subjekt als Katechon. Vorwort zu Alexander Dugin: Eurasische Mission (deutsche Ausgabe, Arktos London 2022)

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