14. Januar 2021
Als allererster Voraussetzung („Kategorie“) allen Denkens geht Horst Mahler vom Ich aus. (1) Das liegt im Bereich der Physik. Das spekulative und spekulierende Denken darüber, woher das Ich kommt und was vor dem Ich war, gehört zum Bereich der Metaphysik – dem des Ur-, Unter-, Über- oder Hintergrundes, der unserem Verständnisbereich eigentlich nicht wirklich zugänglich ist.
In Reinhold Oberlercher Buch „Das System der Philosophie“ (2) lautet das erste Kapitel, also der Ausgangspunkt seiner Philosophie, folgerichtig „Metaphysik“.
Nun ist es zunächst einmal sehr erstaunlich, daß Reinhold Oberlercher dort vom Nichts als der fundamentalsten Kategorie, die es gäbe, ausgeht.
Man schaut sich selbst an (das Ich), man schaut hinaus (in die Welt), und da gibt es etwas. Das ist eigentlich offensichtlich. Was dem zugrunde-, was dahinter- oder darunter- oder darüberliegt – das Metaphysische –, das mag dann alles mögliche sein: Gott, das Sein usw. Oberlercher entscheidet sich seltsamer- und überraschenderweise für das Nichts. Wir sehen etwas, und dieses physische Etwas kommt nicht etwa aus einem metaphysischen Etwas, sondern es kommt aus einem Nichts. Aus nichts kommt etwas. Das erinnert an die Urknall-Theorie, wo ja auch etwas aus dem Nichts entsteht. (3)
Lassen wir zunächst Reinhold Oberlercher zu Wort kommen. Er beginnt das Buch und das Metaphysik-Kapitel so:
„Es sei ein Nichts, das viele Nichtse von sich abstößt, denn anderes kann das Nichts nicht tun und so hat es immer nur sich selbst zum Nichten, zum Abstoß seiner von sich selbst. Da alle die Vielen Nichtse das gleiche Nichts sind[,] fallen sie auch in ihrer unbegrenzten Vielheit immer wieder in das eine Nichts zusammen.
Es ist nicht so, daß nichts ist, sondern allein so, daß überhaupt kein Sein ist. Nichts ist und nichts wird, nichts entsteht und nichts vergeht, aber alles nichtet. […] Da ist Gott, der Nichtiger des Nichts, geschaffen. Die Erschaffung Gottes als den Nichtiger der Nichtse ist die philosophische Voraussetzung für Gottes Erschaffung der Welt einschließlich seiner Gedanken vor der Erschaffung der Welt.
Gott ist nicht, Gott nichtet. Gott erschafft die Welt, indem er als Nichtiger des Nichs auftritt. Daher ist diese Metaphysik nicht Seinswissenschaft, sondern Negationskunde, Nihilogie. […] Schöpfung ist Nichtung.“ (4)
Reinhold Oberlercher stellt sich damit gegen seinen Lehrer Hegel. Wir lesen in der Fußnote 6 auf Seite 14: „Strenggenommen muß es in diesem System immer das ‚Nicht‘ heißen statt des ‚Nichts‘, weil letzteres eine Kurzform von ‚Nichtsein‘ bedeutet und man damit eigentlich ins Hegelsche System mit dem Sein als erster und dem Nichts als zweiter Kategorie geraten ist.“
Bei Hegel ist also das Sein die erste (höchste, tiefste, voraussetzungslose) Kategorie – das, was bei Mahler das Ich ist. Ich, Sein und Gott ist dasselbe. Hegel nennt es – laut Oberlercher – das Sein.
Bei meiner Beschäftigung mit Kiergegaard für die Darstellung der trans-intellektuellen Post-Philosophie mußte ich an diese Lage zwischen Hegel, Mahler und Oberlercher denken. (Kiergegaard stimmt im übrigen mit Mahler überein: das Sein ist das Ich, und das Ich ist Gott, und Gott ist das Sein.) Und dabei kam ich, wie schon gesagt, ins Wundern: Das, was nichten kann – ist denn das nicht schon da, bevor es nichtet? Was wohl mag Oberlercher dazu bewegt haben, seinen Lehrer Hegel zu korrigieren – quasi von den Füßen auf den Kopf zu stellen – und vom Nichts auszugehen?
Inzwischen ahne ich die Antwort: Oberlercher muß – vergleichbar Kiergegaard, der allerdings eine Lebens- oder Existenz- anstatt eine systematische Welt-Erfassungs-Philosophie daraus gemacht hat – das Nichts erlebt haben. Das Nichts muß sein tiefstes Erlebnis, seine tiefste Erfahrung (gewesen) sein: ein Zustand, wo eigentlich nichts mehr da ist, nur noch ein Rest von Geist, der dies noch wahrnehmen und benennen kann: das Nichts.
Nun werden mir die Hegelianer widersprechen: Was heißt hier „Rest von Geist“?! Dann ist es ja doch kein Nichts! Aber ich bin kein Hegelianer, ich sehe die Dinge anders, ich kann von einem Rest von Geist sprechen. Was genau damit gemeint ist, zeige ich an anderer Stelle; das spielt jetzt keine Rolle. Wir befinden uns hier im Bereich der Philosophie, nicht in dem der Post-Philosophie.
Und aus diesem Stück Geist entwickelt Oberlercher – der These vom Urknall und dem sich rapide ausbreitenden Weltall gleich – seine Welt, d.h. seine Philosophie. (Ich, Welt und Philosophie sind dasselbe.) Das sage ich, Töpfer, das ist meine These – Oberlercher sagt: aus dem Nichts und nicht etwa aus einem Rest Geist, der einem Rest Physis entspricht.
Was das mit einem Rest Geist erlebte Nichts sein könnte, dazu post-philosophiere ich im Teil 2 („Nichts-mehr-merken – gestorben-sein, Verlust des Selbstes, Trost des Todes“) der Video-Serie „Dilemmata und andere Lagen“ (5)
Meine höchst-/tiefstmögliche Würdigung des Geistes und der großen Geister Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Martin Heidegger, Hermann Schmitz, sowie meiner Helden und Väter Reinhold Oberlercher und Horst Mahler können Sie im 4. Teil meiner Serie „Hölderlin, Post-Philosophie und Tiefenwahrheit: Wiedervereinigung von Geist & Gefühl in Aktion“ erleben, in der meine „Ballade von der Wiederzusammen= & WiederübereinStimmung zweyer Stimmen“ zu hören ist.
Als letztes ist mir der Begriff „Abstoß“ im Oberlercher’schen Text aufgefallen. In meinem Text „Todesnähe und Tod, Hoffnung und Angst“ (6), der auf zwei Träumen basiert, muß ich mich, der ich dabei bin zu ertrinken, auf den Grund eines Schwimmbeckens sinken lassen, um dort die Möglichkeit zu haben, wieder an die Luft zu gelangen, und zwar durch einen „Abstoß“ vom Grunde. Dieser Abstoß ist das Entscheidende. Es ist paradox: ich muß mich, zu meiner Rettung, tiefer und tiefer sinken lassen – was ich natürlich nicht will!, ich will nach oben an die Luft! Nur dort, an der tiefsten Stelle, habe ich die Chance, mit einem Abstoß wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen. Ich pokere hoch. Ob dieser Abstoß die Rettung bringt, ist nicht gesagt, aber es bleibt mir nur – als letzter Schuß – dieser Abstoß. Im zweiten Teil dieses meines Textes liege ich, schon tot, in einer Badewanne, trete aus mir heraus und rette mich selbst, was mit etwas schwerfällt, denn mein toter Körper ist voller Seife, ich kriege mich nicht gut zu fassen.
Und mit dieser Hegel’schen Vokabel möchte ich zum Ende dieses Textes kommen. Der Oberlercher’sche „Abstoß seiner von sich selbst“ ist gewissermaßen die, wie Freud sagen würde, Unifizierung meiner beiden Texte/Träume.
Wer in meinem Text eine „Psychologisierung“ von Philosphischem sieht, mag das tun. Es ist aber keine, sondern es ist Post-Philosophie und Tiefenwahrheit. (7)
(1) unbetiltes [„Horst Mahler meldet sich zurück“, „Also da bin ich wieder…“] und undatiertes [Anfang Dezember 2020] Video von Horst Mahler nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft: https://endederluege.com/horst-mahler-meldet-sich-zurueck/ oder: https://5.videolyser.de/videos/2243917/22297303_sd.mp4?fbclid=IwAR2oBBAkfryI-2u6n6inz6tU33hFnrRPU2AMwumt6UN9yuem1QZwKevUiMw
(2) Reinhold Oberlercher, Das System der Philosophie, Mengerskirchen 2014
(3) Jochen Kirchhoff, Schöpfungsmythos Urknall: die Haupteinwände: https://www.youtube.com/results?search_query=jochen+kirchhoff+urknall
(4) Reinhold Oberlercher, Das System der Philosophie, S. 13
(5) https://www.youtube.com/watch?v=BfenMuGzaQs
(6) „Todesnähe und Tod, Hoffnung und Angst“, aus: Peter Töpfer, Gedichte 1977 – 2005, weltweit 2005: http://blog.peter-toepfer.de/todesnaehe-und-tod-hoffnung-und-angst/
(7) Peter Töpfer, Was ist Post-Philosophie?: http://blog.peter-toepfer.de/was-ist-post-philosophie-was-ist-tiefe/; Was ist Tiefenwahrheit?: http://tiefenwahrheit.de/was-ist-wahrheit/was-ist-tiefenwahrheit/
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