Alexandra Petersamer sagt in ihrem Audio zur Interpretation des Dritten Aufzuges von „Tristan und Isolde“ ab Minute 10:44: „Kurwenal läßt durchblicken: ‚Das verstehst du [der Hirt] nicht.‘ Was hier abgeht, das kann man nicht so leicht verstehen. Für Otto Normalverbraucher […], für einen normaltickenden Menschen ist das nicht nachvollziehbar. [Kurwenal:] ‚Laß die Frage: / du kannst’s doch nie erfahren. / Eifrig späh, / und siehst du ein Schiff, / so spiele lustig und hell!'“
Also Kurwenal sagt zum Hirten dem Sinne nach, er solle seinen niederen Dienst erfüllen und daß er zu mehr nicht fähig sei, als lustig in seine Schalmei zu tröten.
Das mag ja sein. Aber: Wer ist es denn, der Tristan weckt, und womit tut er das? Und wer löst denn später die allertiefsten Gefühle Tristans aus? Ist es nicht Otto Normalhirte? Tristan geht sogar beim Hirten in die Schule, fragt die vom „normaltickenden Menschen“ geblasene Weise: „Muß ich dich so verstehn, / du alte ernste Weise, / mit deiner Klage Klang?“ und läßt sich von dieser sogar zu Geburtserinnerungen inspirieren und triggern!
Im Vergleich dazu ist Kurwenal, der den Hirten arrogant abkanzelt, absolut ignorant. Der Hirte, der so „lustig“ spielen soll – ist er vielleicht „törig“? Er weiß viel mehr als Kurwenal, ja er scheint sogar mehr zu wissen als Tristan! Nur weiß er es mit seinem Gefühl, das sich musikalisch ausdrückt. Wissen hat nicht viel mit Worten zu tun, Wissen steckt im Gefühl und in der inneren Sicht. Davon hat Kurwenal nur einen blassen Schimmer; und Tristan lernt es erst. Der Hirte – das Volk, der einfache Mensch – weiß viel mehr als die Elite. „Törig“ ist auch Parsifal.