Über- oder Unterwinden der Angst vor dem Natürlichsten der Welt?

Christian Anders

Neulich überraschte mich der Schlagersänger Christian Anders, und zwar ausgerechnet mit einer Aussage, die die sogenannte Natürlichkeit betrifft – wo ich mich doch immer für den Champion der Natürlichkeit halte… Anders schrieb nämlich: „Der TOD ist doch das Natürlichste auf der Welt und widerfährt ALLEN Wesen! Trotzdem FÜRCHTEN alle den Tod! Da stimmt doch etwas nicht!“ (1) 

Da scheint tatsächlich etwas nicht zu stimmen! Woher kommt – wo das Leben wie Sonne, Mond & Sterne und somit auch das Sterben in den Kosmos gehört – die Todesangst? Im weiteren Text bzw. Video driftet Anders dann zwar in’s Übernatürliche ab und doziert zur Überwindung dieser Angst, die nämlich dann erreicht werden könne, wenn man aufhöre, sich „mit dem zu identifizieren, was vergehen muß“. Er steht also für Esoterik und Spiritualität. Aber Christian Anders gebührt dennoch der Verdienst dieses verblüffenden Gedankens: Alles, was natürlich ist, das muß uns als Teil der Natur doch entsprechen – also auch der Tod; das kann doch letztlich in keinem Widerspruch zu uns als Bestandteil des schlicht Seienden, des Kosmos‘, und zu uns selbst stehen! Eine Angst vor dem Tode muß also tatsächlich „widernatürlich“ sein. Ich rede hier selbstverständlich nicht vor der Angst davor, gefressen, erschlagen, erschossen, zu Tode gequält usw. zu werden, die aber streng genommen auch „nur“ eine Angst vor riesigen Schmerzen ist, nicht vor dem Tod (aber weil diese Schmerzen so riesig sind, macht es vielleicht doch Sinn, abstrakt von einer Todesangst zu sprechen); ich rede hier nur vom Endtod, vom Auslaufen der Lebenszeit, vom sog. natürlichen Tod oder von dem, was ich als Kind – so wird kolportiert – das Sterben „an der Älte“ nannte. 

Um die Situation besser zu sehen, in der diese Angst auftritt, sei zunächst ein mutmaßender Blick in die sog. Natur gestattet: Können wir uns vorstellen, daß wilde Tiere Angst vor dem Sterben haben, wenn ihr Zustand – sei es durch Alter oder Gebrechen und gesetzt den Fall, ein Raubtier befindet sich nicht in der Nähe – von außen betrachtet einen baldigen natürlichen Tod erwarten läßt? 

Diese Überlegung kann nur ein Bild, eine Perspektive, eine Anschauung zum besseren Verständnis sein, denn wir haben keine Ahnung davon, was sich tatsächlich in einem Tier abspielt. Und das zu wissen, würde uns auch nicht weiterhelfen. Diese Überlegung hilft uns aber vielleicht, die Sache in einen zunächst natürlichen, dann kosmischen Kontext zu bringen. Ein Tier ist aber sicher – so stellen wir es uns zumindest vor – nicht mehr in der Lage, eine solche Perspektive überhaupt einzunehmen; es erwartet nichts, sondern hat einfach eine gewisse Lebensmüdigkeit. Wenn wir in unserem Bild bleiben, dürfen wir annehmen, das Tier könnte mit dem Sterben einverstanden sein. Das Tier in seiner sehr kurzen Perspektive – die des Hier & Jetzt – wird freilich kein Einverständnis mit dem Tod für sich artikulieren, sondern einfach nur sehr schwach sein. Das wilde Tier wird sich in einem letztem Stadium seines jetzt immer mehr schwindenden Lebens- und Verteidigungswillens an einen möglichst abgeschiedenen Ort zurückziehen. Aus unser Sicht zumindest zieht es sich an den Platz seines Sterbens zurück (so würden es, glaube ich, die Jäger sagen), aber davon wird das Tier vermutlich nichts wissen: es fühlt sich nur kraftlos und will sich hinlegen – abseits, wo es die Zerfleischung durch ein Raubtier vermeiden kann. Diesen Vorgang – wenn kein Bewußtsein von einem Tod vorliegt, sondern nur einem aktuellen Gefühl gefolgt wird – könnte man als natürlichen Tod bezeichnen, der nicht mit Furcht verbunden ist, um auf Christian Anders zurückzukommen.  

Wirklich angstlos und „natürlich“ zu sterben setzt also voraus, daß ich nicht weiß, was vor sich geht – etwa ein „Sterben“ – und ich nur eine große Müdigkeit empfinde. Aber selbst diese empfinde ich eigentlich nicht mehr, weil ja das Empfinden selbst eine gewisse Energie benötigt. 

Aber unser Wissen um ein Sterben scheint auch damit verknüpft zu sein, daß wir nicht wirklich leben bzw. gelebt haben – zumindest scheint die enorme Bedeutung dieses Wissens daher zu rühren. Und in Verbindung damit würde ich eher den Ansatz einer Unterwindung der Todesangst sehen: ich würde darauf drängen, möglichst vollständig mein restliches Leben zu verbringen, d.h. mich maximal lebendig zu fühlen. Und ich würde – da ein ungelebtes Leben sich nicht nachholen läßt – das Bereuen, das Bedauern und Betrauern als eine dieser Situation adäquate und lebendige (d.i. natürliche) Reaktion bejahen: also die Verschmerzung – die der Kern der Unterwindung ist –, die ich bereits oft beschrieben und in zahlreichen Videos demonstriert habe. (2)

Ich würde das Problem nicht ins Übernatürliche heben (zwecks einer Überwindung), denn dort würde sich ja das Fürchten eben nicht auflösen: ich will ja gerade in der Natur bleiben – und nicht über sie hinweggehen –, von der ich zu recht annehme, daß in ihr kein Fürchten vor einem Tod ist. Ich bin ja nicht Frau Natur und kann es nicht wissen, aber ich bin zu recht verblüfft über dieses seltsame Phänomen der Todesfurcht, das so gar nicht in die Welt passen will. Was aber ist diese „Natur“, wenn nicht das „natürlichste“ an und in uns, nämlich das Tiefste, was es in uns gibt: all unsere wahren Gedanken und Gefühle? Also müssen wir diese so vollständig wie möglich zulassen, um ins Reich der „Natürlichkeit“ zu kommen. Ich plädiere also für ein Hineingehen in diese wahren Gedanken und Gefühle anstatt diese zu transzendieren. Insofern ist „Unterwindung“ auch falsch und nicht das Gegenteil von Überwindung, eignet sich aber aufgrund der Gegensätzlichkeit von „unter“ und „über“. Aber genau genommen geht man nicht unter die Gefühle, wenn man diese zuläßt, sondern in sie. Dort treiben sie ihr Wesen und können mit mir aus sich herausgehen. Das ist Exoterik. In diesem Hineingehen und diesem Identifizieren liegt der Unterschied zur Esoterik. Das eine wäre eine nordisch-westliche Herangehensweise, das andere eine südöstlich-asiatische.

Diese Tiefenwahrheit – jene wahren tiefen Gedanken und Gefühle – zuzulassen, ist aber nichts anderes als das genaue Gegenteil von dem, was Christian Anders empfiehlt: das totale „Identifizieren“ mit dem, was in meinem Leben ist und was geschehen oder nicht geschehen ist. Mir scheint eine Überwindung illusionär, ich weiß aber um die Kraft der Einbildung. Doch ob mit Autosuggestion, Meditation usw. tatsächlich diese Art von Gelassenheit oder Gleichgültigkeit erzielt werden kann, ist für mich fraglich, denn es geht ja eben gar nicht um Gelassenheit, sondern um Müdigkeit und Hinfälligkeit, die nur wie Gleichgültigkeit aussehen. Diese Müdigkeit ist die einzige wirkliche Natürlichkeit, und um die geht es uns ja gerade hier, wenn wir den Tod als „das Natürlichste auf der Welt“ haben wollen. In diese wollen wir den Tod ja einbetten. Ein Unterwinden dagegen – also reines Fließen-Lassen – scheint mir aussichtsreicher als eine mentale Anstrengung. Und zwar gilt das generell, ganz verschiedene Probleme, nicht nur das Problem der Todesangst betreffend. Diese sollte es tatsächlich – da ist Christian Anders wieder voll und ganz zuzustimmen – nicht geben; sie ist letztlich irrational. Doch ist „Natürlichkeit“ – ich wiederhole mich – nur eine Bezeichnung, die wir so lange ins Feld führen, wo wir eben nicht verschmerzt haben, sondern uns weiter Gedanken machen. Solange wir noch von „Natürlichkeit“ sprechen und diese als zugegebenermaßen sehr anspruchsvolle, fast vermessene scheinende Ziel für das Ende unseres Lebens ausgeben, betrachten wir uns noch als Objekt, d.h. dann sind wir nicht ganz und eindeutig wir selbst, nicht mit uns identisch („identifiziert“), dann sind wir gespalten in unser Gefühl und eine Draufsicht. 

Subjekt, eindeutig und ungespalten, werden wir nur durch Zulassung der ganzen wahren Gedanken und Gefühle, also durch Unterwindung. Dann haben wir die Chance, zur „Natürlichkeit“ zurückzukehren und uns eines Tages lediglich vor lauter Müdigkeit hin- oder abzulegen, weil wir tatsächlich nichts mehr anderes merken als das Erlöschen – von dem wir nichts wissen; wir fühlen nur unsere Schwäche. Denn geht es im Leben um das Wahrnehmen dessen, was man will – auf daß man es habe –, so scheint es im Tode gerade um das Gegenteil zu gehen: in mir regt sich kein Bedürfnis mehr, ich will nichts mehr. Auch das Wissen um das Geschehen fällt dann weg und ich habe keinen Gedanken mehr, merke nicht mal mehr, daß ich wie selbstverständlich einverstanden bin mit dem „natürlichsten der Welt“ und schlafe ein, so wie ein Stern verglüht, der sicherlich – so vermuten wir – dabei auch keine Furcht verspürt. 

(1) https://vk.com/anders45?w=wall381594986_162280%2Fall
(2) Institut für Tiefenwahrheit: https://www.youtube.com/channel/UCitrpXABSS7O4F2Lv5r_zxQ und http://tiefenwahrheit.de 

 

 

 

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